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Thomas S. Monson

Entscheidet euch im herzen

Neal A. Maxwell

 

 

Oktober 1992

 

Dies ist ein geeigneter Augenblick, Elder Hanks dafür zu danken, daß er mein Leben über so viele Jahre hin so oft beeinflußt hat. Vor achtzehn Jahren habe ich von diesem Pult aus diejenigen, die unentschlossen vor der Kirchentür standen, eingeladen, doch hereinzukommen. Heute wende ich mich an diejenigen Mitglieder, die schon hereingekommen sind, die aber nur laue Jünger sind, Menschen, die wir lieben und deren Gaben und Talente beim Aufbau des Reiches so sehr benötigt werden!

 

Jeder Aufruf zu mehr Weihung ergeht natürlich an uns alle. Ich wende mich aber nicht in erster Linie an die, die beständig streben, die aufrichtig danach trachten, Gottes Gebote zu befolgen und manchmal dennoch versagen. (LuB 46:9.) Ich spreche auch nicht in erster Linie zu den wenigen, die bewußt ungehorsam sind, auch nicht zu denen, die auf der Suche nach neuem Nervenkitzel Bungeespringen in bezug auf Verhalten und Verstand praktizieren, nur um von den alten Häresien und den alten Sünden ruckartig herumgezogen zu werden.

 

Meine Worte richte ich statt dessen an die im Grunde genommen „ehrenhaften" Mitglieder, die nur an der Oberfläche kratzen, statt ihre Jüngerschaft zu vertiefen und nur lau mitmachen, statt sich voll Eifer zu widmen. (LuB 76:75; 58:27.) Auch wenn sie sich dem Namen nach beteiligen, so sind ihre Vorbehalte und Zweifel doch unweigerlich zu erkennen. Sie gehen vielleicht sogar in den heiligen Tempel, lassen aber den Tempel leider nicht in sich hinein.

 

Solche Mitglieder nehmen eine Berufung an, nicht aber alle damit einhergehenden Pflichten. Ihre Aufgaben in der Kirche übernehmen oft diejenigen, die sich ohnehin schon voll Eifer widmen. Manch anderer ruht sich zwischen zwei Berufungen aus. Aber wir befinden uns nie dazwischen, wenn es darum geht, die Aufforderung Jesu zu beachten: „Was für Männer [und Frauen] sollt ihr sein? Wahrlich, ich sage euch: So, wie ich bin." (3 Nephi 27:27; siehe auch Matthäus 5:48; 3 Nephi 12:48.) Es ist immer unsicher, sich in dieser Hinsicht auszuruhen! Ja, zum Tapfersein im Zeugnis von Jesus gehört es, daß man danach strebt, ihm im Sinn, im Herzen und in den wesentlichen Merkmalen ähnlicher zu werden. (LuB 76:79.) Wenn wir solche Männer und Frauen werden, zeigen wir, daß wir den rechten Glauben angenommen haben!

 

Jeder hat natürlich die Freiheit, sich zu entscheiden, und wir würden es auch nicht anders wollen. Wenn sich jemand aber für so ein lässiges Verhalten entscheidet, so betrifft das leider nicht nur ihn selbst, sondern auch die nächsten Generationen. Wenn Eltern auch nur ansatzweise doppeldeutig sind, kann das zur Folge haben, daß die Kinder weit vom Kurs abkommen! Frühere Generationen mögen Hingabe gezeigt haben, in der heutigen Generation tritt manchmal Lauheit zutage. In der nächsten Generation wird dann möglicherweise manch einer leider vom Weg abkommen, wenn die Erosion ihren Tribut fordert.

 

Während ein laues Mitglied nicht unrecht handelt, vermeidet es oft den Anschein zu rechtschaffen zu sein, indem es weniger engagiert erscheint, als es wirklich ist - eine ironische Variante der Heuchelei.

Manch ein sonst ehrenhaftes Mitglied betrachtet die Kirche als eine Institution und nicht aber als Königreich. Es kennt die Lehre des Reiches, aber eher als ein Diskussionsthema und weniger als etwas, was man gänzlich versteht.

 

Ein laues Mitglied ist gewöhnlich sehr beschäftigt mit den Dingen der Welt - so wie der ehrenhafte Amulek. Oft berufen, wollte er jedoch nicht hören. Er wußte eigentlich um die Evangeliumswahrheiten, wollte dies aber nicht zugeben. (Alma 10:4-6.)

 

Ein gemeinsames Merkmal der ehrenhaften, aber lauen Mitglieder ist ihre Geringschätzung für die einfachen und anscheinend langweiligen Pflichten eines Jüngers wie z.B. das tägliche Gebet, das regelmäßige Schriftstudium, den Besuch der Abendmahlsversammlung, den Zehnten und den Tempelbesuch. Diese Geringschätzung ist vor allem in der heutigen Welt gefährlich, die gekennzeichnet ist von der Sucht zu relativieren und der Sinnlichkeit in ihrer vulgärsten Form; einer Welt, in der der Name Gottes für Flüche und Ausrufe herhalten muß, statt im Gebet ausgesprochen zu werden.

 

Im Gegensatz dazu legen diejenigen, die auf das Heilige zielen, weder ihre Verantwortung noch ihr Garment ab. Sie vermeiden Obszönität, befolgen das Gesetz der Keuschheit, zahlen den Zehnten, lieben ihren Ehepartner und ihre Kinder und dienen ihnen. Als gute Nächste tragen sie einer des anderen Last, trauern mit den Trauernden, trösten die, die Trost brauchen und treten allezeit, in allem und wo auch immer tapfer als Zeugen Gottes auf (siehe Mosia 18:8,9).

 

Wenn wir uns gerade entschlossen haben, verläßlicher zu werden und uns mehr zu weihen, sind wir eine Zeitlang verletzlich. Es fällt schwer, mit der Vergangenheit zu brechen. Sobald wir aber damit beginnen, können wir erkennen, daß ein Freund, der uns in geistiger Hinsicht zurückhält, eigentlich kein wahrer Freund ist. Mit jedem Vorwurf wegen unserer zunehmenden geistigen Gesinnung bringt er entweder seine Verstimmung zum Audsruck oder seine Sorge, wir könnten ihn im Stich lassen. Wenn wir es erklären wollen, kann unsere Zunge nicht den kleinsten Teil dessen sagen, was vor sich geht. (Alma 26:16.) Sie bedeuten uns noch immer etwas, aber unsere Pflicht gegenüber Gott bedeutet uns noch mehr! Brigham Young hat gesagt: „Einige verstehen nicht die Aufgaben, die nicht mit ihren natürlichen Gefühlen und ihrer Zuneigung übereinstimmen. … Es gibt Pflichten, die über der Zuneigung stehen." {Journal of Discourses 7:65.)

 

Ich muß fairerweise darauf aufmerksam machen, daß jegliche Bereitschaft, sich mehr zu weihen, bald deutlich macht, was uns fehlt - das ist schmerzhaft, aber notwendig. Denken Sie an den reichen rechtschaffenen jungen Mann, dem Jesus sagte: „Eines fehlt dir noch"? (Markus 10:21.) Hananias und Saphira, die eigentlich gute Mitglieder waren, behielten einen Teil für sich, statt alles zu weihen, was sie hatten. (Apostelgeschichte 5:1-11.) Wir sind ehrenhaft und würden Jesus für 30 Silberstücke nicht verkaufen, aber wir würden ihm auch nicht alles geben!

 

Bei einem weihungsorientieren Handeln denken wir leider immer nur an Eigentum und Geld. Aber wir können auf vielerlei Weise etwas für uns behalten. Man kann sehr wohl sein Geld und seine Zeit geben und dabei dennoch einen großen Teil von sich zurückbehalten. Man kann die Öffentlichkeit an seinen Talenten teilhaben lassen, aber insgeheim seinen Stolz bewahren. Man kann sich weigern, vor Gottes Thron niederzuknien, und zugleich seinen Gleichgesinnten Achtung erweisen. Man kann eine Berufung in der Kirche annehmen, aber sein Herz so sehr auf bestimmte Rollen in der Welt setzen.

 

Anderen fällt es leichter, ihre Knie zu beugen als ihren Geist. Erregende Forschung ziehen sie der mühsamen Anwendung vor; spekulieren bereitet ihnen mehr Spaß als auf das Heilige zu zielen; und lieber versuchen sie, die harten Lehren aufzuweichen, als sich ihnen unterzuordnen. Was noch schlimmer ist: weil sie nicht gehorchen, haben sie kein wirkliches Wissen. (Siehe Johannes 7:17.) Ohne wirkliches Wissen können sie ihren Glauben nicht verteidigen und beginnen vielleicht, ihn zu kritisieren!

Ein paar von ihnen enden am eigendynamischen und selbstgerechten Hyde Park Corner der Kirche, den sie engstirnig für die gesamte Kirche halten, so als ob der Hyde Park Corner in London zugleich Parlament, Regierungssitz, Buckinghampalast und ganz England in einem wäre!

 

Nur wenn wir uns umfassender weihen, läßt sich die Ambivalenz und die Lauheit in uns heilen! Der Lernprozeß, der sich aus dieser völligeren Weihung ergibt, mag streng sein, er spiegelt jedoch die göttliche Barmherzigkeit wider, die für die weitere Weihung nötig ist. (Siehe Helaman 12:3.) Wenn wir weichlich geworden sind, mögen harte Zeiten nötig sein. Die Entbehrung mag uns auf die weitere Weihung vorbereiten, wenngleich uns bei diesem Gedanken schauert. Wenn wir uns zu schnell zufrieden geben, kann Gott uns vielleicht eine Dosis göttlicher Unzufriedenheit verabreichen. Gottes Langmut ist für unsere Entscheidungsfreiheit und Entwicklung also dringend nötig. Er ist aber kein nachgiebiger Vater.

 

Wir können zur Zeit nicht alles ertragen, aber der Herr wird uns in dem Maß weiter führen, wie wir ihm in unseren Gedanken und unserem Tagesablauf „Raum geben" und unsere Sünden ablegen; nur so können wir für ihn Platz schaffen. (LuB 78:18;Alma 32:27,28; 22:18.)

Jeder von uns muß selbst bestimmen, ob er für Jesus Platz hat!

 

Weihung ist die einzige Kapitulation, die zugleich ein Sieg ist. Sie befreit uns aus dem lärmenden, überbelegten Gefängnis der Selbstsucht und holt uns aus dem finsteren Kerker des Stolzes. Es fällt leichter, seinen Pflichten halbherzig und lau nachzugehen, so als ob man hoffte, „auf dem Golf wagen ins Paradies einzuziehen", als mehr auf das Heilige zu zielen. (Henry Fairlie, The Seven Deadly Sins, Indiana, University of Notre Dame Press, 1979, Seite 125.) Aber stellt die Weihung und das Verschlungensein in Gott nicht eine Bedrohung unserer Individualität dar? (Siehe Mosia 15:7.) Nein! Der himmlische Vater verlangt nur, daß wir unser altes Ich aufgeben, damit wir unser neues und wahres Ich finden können. Es geht nicht darum, unsere Identität aufzugeben, sondern unsere wahre Identität zu finden!

 

Wenn wir letzten Endes wirklich heimkehren, können wir den Finger der Verachtung ertragen, den die Welt auf uns richtet. Wenn wir wissen, zu wem wir gehören, verliert jegliche andere Zugehörigkeit an Bedeutung. Wenn also Jesus in uns wirklich Raum bekommt, kümmert es uns weniger, ob wir den Platz in der Welt verlieren. Wenn unser Sinn die Bedeutung des Sühnopfers Jesu versteht, verliert die Welt ihre Macht über uns. (Alma 36:18.)

 

Wenn wir uns mehr weihen, heißt das nicht, daß wir mehr Zeit für unsere Arbeit in der Kirche aufwenden, sondern, daß wir besser verstehen, um wessen Werk es wirklich geht! Die Weihung heißt also nicht unbedingt, daß wir irdischen Besitz aufgeben, sondern daß wir davon weniger besessen werden!

 

Erst wenn wir die Dinge scharf sehen, und zwar ohne woandershin zu schielen, sehen wir, wie sie wirklich sind! (Jakob 4:13.) Welche Aussicht uns doch erwartet! Nur in dem Maß, wie wir auf die Versuchungen des Lebens wie Jesus reagieren, der ihnen keine Beachtung schenkte, werden wir endlich frei! (LuB 20:22; Johannes 8:22.)

 

Die Orthodoxie - die Rechtgläubigkeit bringt also Sicherheit und Glücklichsein! Sie führt nicht nur zu richtigem Verhalten sondern zu Glücklichsein. Ist es nicht eigenartig, daß sogar das Wort „orthodox" bei manchen in Ungnade gefallen ist, die, in dem Maß, wie die Gesellschaft exzentrischer wird, schrill vor orthodoxem Gedankengut warnen.

 

Denken Sie daran, wie sich die Israeliten angesichts der sie verfolgenden Armeen des Pharaos an die Weisung des Herrn hielten? Mose streckte die Hand aus, und das Rote Meer teilte sich. Zwischen turmhohen Wasserwänden zog Israel gehorsam - und zweifellos schnell - durch. Damals gab es keine Warnung in bezug auf Konformität.

 

Vor uns liegen noch Wegstrecken, die einen ähnlichen Gehorsam erfordern werden, wenn die Propheten die Männer und Frauen Christi auf einen engen und schmalen Kurs führen.

 

In Gedanken und Tat mehr wie Jesus zu werden zermürbt und unterdrückt nicht, sondern befreit und bereichert! Von der Rechtgläubigkeit abweichendes Verhalten und Denken bewirkt genau das Gegenteil! Ein bißchen Pornographie führt nicht nur zum Mißbrauch des Ehepartners und der Kinder, sondern entzieht uns auch das Mark der Selbstachtung. Eine kleine Neigung zum Klatsch führt nicht nur zu falschen Aussagen, sondern viel öfter zu böswilligem Wispern, das leider vom Gedächtnis als Ruf gespeichert wird. Eine kleine anscheinend harmlose Kritik an den Führern schadet vielleicht nicht nur anderen Mitgliedern, sondern kann dazu führen, daß man sich als Ersatzlicht der Welt aufschwingt. (2 Nephi 26:29.) Ja, zum Glück kommt manch ein verlorener Sohn nach Hause zurück, meist aber allein, ohne diejenigen, die er in die Irre geführt hat!

 

Jesus hat seinen Jüngern gesagt: „Darum, entscheidet euch im Herzen, daß ihr das tut, was ich euch lehre und gebiete." (Bibelübertragung von Joseph Smith, Lukas 14:28.) Diese Entscheidung geht der Weihung voraus. Der Prophet Joseph Smith hat gesagt, daß das Wissen Finsternis, Ungewißheit und Zweifel vertreibe und daß nichts so schmerzlich sei wie Ungewißheit. (Lehren des Propheten Joseph Smith, Seite 292.) Das bewahrt uns davor, von jeder kleinen Welle der Abweichung wie von einer Flutwelle erfaßt zu werden. Wir sollen Jünger sein, keine Wetterhähne, kein Schilfrohr im Wind. (Matthäus 11:7.) Mehr Mitglieder brauchen die immense Hilfe und den Frieden, die sich aus der Entschlossenheit ergeben, ohne die diese Menschen wie das aufgewühlte Meer sind, das nie zur Ruhe kommen kann. (Jesaja 57:20.) Einen weiteren Grund gibt es, warum wir uns entscheiden müssen: Wir werden in einer Welt leben, in der alles in Aufruhr sein wird. (LuB 88:91; 45:26.) In der Ungewißheit, im Aufruhr und Chaos der Welt heute werden die Unentschlossenen von heftigen Turbulenzen hin und hergeworfen werden.

 

Und schließlich: wenn wir davor zurückschrecken, uns mehr zu weihen, sind wir nicht seiner würdig, der während des Sühnopfers mitten in seinem Leid unseretwillen nicht zurückschreckte! (LuB 19:18.) Jesus gab sich statt dessen ganz und schloß das ab, was er für die Menschenkinder vorhatte. (LuB 19:19.) Was wäre gewesen, wenn das irdische Wirken Jesu nur aus zwei bemerkenswerten Predigten bestanden hätte und von Heilungen und Wunder gekennzeichnet wäre - jedoch ohne die schrecklichen, aber geweihten Stunden des Sühnopfers in Getsemani und auf Golgota? Wie würden wir zu seinem Wirken stehen? Wo wäre die Menschheit dann?

 

Brüder und Schwestern, was auch immer wir anstelle von Jesus und seinem Werk annehmen, wird uns davon abhalten, beim Eintritt in sein Reich von ihm angenommen zu werden. (Siehe Mormon 6:17.)

Mögen wir uns entscheiden und uns schon jetzt für den kommenden wunderbaren Augenblick bereitmachen. Darum bitte ich im Namen Jesu Christi. Amen.

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