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Thomas S. Monson

Es gibt viele Gaben

Marvin J. Ashton

 

 

Oktober 1987

 

Ich finde es sehr schlimm, wenn jemand der Meinung ist, er habe keine Talente oder Gaben. Wenn wir uns, sei es aus Ärger oder Entmutigung, aufgrund unserer entwürdigenden Selbsteinschätzung der Verzweiflung hingeben, so ist das ein trauriger Tag für uns und auch ein trauriger Tag in den Augen Gottes. Zu dem Schluß zu kommen, daß wir keine Gaben hätten, nur weil wir uns hinsichtlich unserer Figur, unserer Intelligenz, unseres Notendurchschnitts, unseres Reichtums, unserer Macht, unserer Stellung oder unserer äußeren Erscheinung beurteilen, das ist nicht nur unfair, sondern auch unvernünftig.

 

Das Buch , Lehre und Bündnisse' enthält den folgenden wahren Grundsatz: „Denn allen ist nicht jede Gabe gegeben; denn es gibt viele Gaben, und jedem Menschen ist durch den Geist Gottes eine Gabe gegeben. Einigen ist die eine gegeben, anderen ist eine andere gegeben, damit allen dadurch genutzt sei." (LuB 46:11,12.)

 

Gott hat jedem von uns ein oder mehrere besondere Talente gegeben. Sokrates hat gesagt: „Ein Leben, das nicht erforscht wird, ist nicht lebenswert." („Apology", The Dialogues of Plato, Chicago, 1952, Seite 210.) Es ist unsere Aufgabe, die Gaben festzustellen, die Gott gegeben hat, und darauf aufzubauen. Wir dürfen nicht vergessen, daß jeder von uns als Abbild Gottes erschaffen worden ist, daß es keine unwichtigen Menschen gibt. Jeder Mensch ist für Gott und für seine Mitmenschen von Bedeutung.

 

Im Buch Mormon, vor allem im Dritten Buch Nephi, Kapitel 11 bis 26, als der Erretter Jesus Christus dem Volk auf dem amerikanischen Kontinent erschien, wird von vielen Gaben gesprochen, die sehr wirklich und äußerst nützlich sind. Lassen Sie mich aufs Geratewohl einige Gaben herausgreifen, die nicht immer offenkundig oder beachtenswert, die jedoch sehr wichtig sind. Dazu gehören vielleicht auch Ihre Gaben - Gaben, die nicht so offenkundig sind, aber dennoch wirklich und wertvoll.

 

Wir wollen uns einige dieser weniger auffälligen Gaben ansehen: die Gabe zu fragen; die Gabe zuzuhören; die Gabe, auf die sanfte, leise Stimme zu hören; die Gabe, weinen zu können; die Gabe, Streit zu vermeiden; die Gabe, liebenswürdig zu sein; die Gabe, unnütze Wiederholungen zu vermeiden; die Gabe, nach dem zu trachten, was rechtschaffen ist; die Gabe, nicht zu urteilen; die Gabe, sich an Gott zu wenden, um Führung zu erlangen; die Gabe, ein Jünger zu sein; die Gabe, sich um andere zu kümmern; die Gabe, nachsinnen zu können; die Gabe zu beten; die Gabe, machtvoll Zeugnis zu geben; die Gabe, den Heiligen Geist zu empfangen.

 

Wir dürfen nicht vergessen, daß jedem Menschen durch den Geist Gottes eine Gabe gegeben ist. Es ist unser Recht und unsere Aufgabe, unsere Gaben anzunehmen und andere daran teilhaben zu lassen. Gottes Gaben und Mächte stehen jedem von uns offen. Aus Zeitgründen will ich nur ein paar dieser von Gott gegebenen Gaben besprechen.

 

1. Die Gabe nachzusinnen

 

Beim Schriftstudium ist mir aufgefallen, wie häufig die Begriffe „nachdenken" und „nachsinnen" im Buch Mormon vor kommen.

 

Als Jesus Christus die Nephiten belehrte, sagte er: „Darum geht nach Hause und denkt über das nach, was ich gesagt habe, und bittet den Vater in meinem Namen, damit ihr verstehen und euren Sinn für den morgigen Tag bereitmachen könnt, und ich komme abermals zu euch." (3 Nephi 17:3.)

 

Moroni schrieb am Ende seines Berichts: „Siehe, ich möchte euch auffordern, wenn ihr dieses hier lesen werdet . . ., daß ihr daran denkt, wie barmherzig der Herr zu den Menschenkindern gewesen ist, . . . und daß ihr im Herzen darüber nachdenkt. " (Moroni 10:3.)

 

Indem wir nachdenken, ermöglichen wir es dem Geist, daß er uns berührt und führt. Das Nachsinnen ist ein Bindeglied zwischen dem Herzen und dem Sinn. Wenn wir in der heiligen Schrift lesen, werden unser Herz und unser Sinn berührt. Wenn wir die Gabe des Nachsinnens gebrauchen, können wir erkennen, wie wir unser Verhalten im täglichen Leben nach den ewigen wahren Grundsätzen ausrichten können.

 

Inzwischen lesen Millionen von Menschen auf Präsident Bensons Aufforderung hin, das Buch Mormon - manche zum erstenmal, andere haben es sich bereits zur Gewohnheit gemacht. Wir müssen uns alle vor Augen halten, daß die Früchte dieses Buches uns dann am meisten nützen, wenn wir beim Lesen nachsinnen.

 

Durch das Nachsinnen entwickelt sich unser Verstand weiter. Es ist eine große Gabe für diejenigen, die gelernt haben, sie zu gebrauchen. Wenn wir sie gebrauchen, erweitert sich unser Verständnis und wir wissen, wie wir die Evangeliumsgrundsätze in die Tat umsetzen können.

 

2. Die Gabe, auf Gott zu blicken und sich führen zu lassen

 

Wie oft haben wir in einer kritischen, schwierigen Phase selbst schon gesagt oder andere ausrufen hören: „Ich weiß einfach nicht, wohin ich mich wenden soll"?

 

Es gibt eine Gabe, die jedem von uns offensteht, wenn wir nur wollen - die Gabe, auf Gott zu blicken und sich führen zu lassen. Auf diesem Weg erhalten wir Kraft, Trost und Führung.

 

„Siehe, ich bin das Gesetz und das Licht. Blickt her zu mir, und harrt bis ans Ende aus, so werdet ihr leben; denn dem, der bis ans Ende ausharrt, werde ich ewiges Leben geben." (3 Nephi 15:9.)

 

„Blicke auf Gott und lebe." Das ist eine wunderbare Verheißung, die in der heiligen Schrift so oft zu finden ist.

 

Wenn wir auf Gott blicken, um uns führen zu lassen, wonach suchen wir dann bei seinen Kindern, so daß wir Nutzen davon hätten? Manche von uns scheinen lieber nach den Schwächen ihrer Mitmenschen Ausschau zu halten und sie hervorzuheben. Doch es sind die Gaben, die andere besitzen, nicht ihre Unzulänglichkeiten, die es ermöglichen, daß alle davon Nutzen haben.

 

Was für ein geistiger Trost und Segen ist es doch, wenn man weiß, daß wir ewiges Leben und Erhöhung erlangen können, wenn wir auf unseren Erretter Jesus Christus blicken und bis ans Ende ausharren. Unsere Fähigkeit, zu sehen und zu begreifen, nimmt nur in dem Maß zu, wie wir bereit sind, auf Gott zu blicken. Außerdem lernen wir, aus freien Stücken zu dienen und zu leben. Sind wir als Führer der Kirche berufen, dürfen wir deshalb nicht weniger Zeit darauf verwenden, auf Gott zu blicken.

 

3. Die Gabe, auf die sanfte, leise Stimme zu hören

 

Die sanfte, leise Stimme vom Himmel durchdringt das Herz mit ihren sanften, überzeugenden Worten:

 

„Und es begab sich: Während sie so miteinander sprachen, vernahmen sie eine Stimme, als ob sie aus dem Himmel käme; und sie ließen die Augen ringsum gehen; denn sie verstanden die Stimme, die sie vernahmen, nicht; und es war nicht eine rauhe Stimme, noch war es eine laute Stimme; doch ungeachtet dessen, daß es eine leise Stimme war, drang sie denen, die sie vernahmen, bis ins Innerste, so sehr, daß es an ihrem Körper keinen Teil gab, den sie nicht erbeben ließ; ja, sie drang ihnen bis in die Seele und ließ ihnen das Herz brennen." (3 Nephi 11:3.)

 

Meistens werden Hoffnung, Ermutigung und Führung durch eine sanfte, durchdringende Stimme vermittelt.

 

Eine sanfte Stimme hören nur diejenigen, die bereit sind zuzuhören. Die ruhige, leise Unterhaltung mit unseren Mitmenschen macht kostbare Freundschaften erst möglich. Ich bin dankbar für Menschen, die ihre Stimme nicht erheben müssen, um andere zu beeindrucken oder zu überzeugen. Es scheint, als ob die meisten Menschen, die streiten und schreien, nicht mehr auf das hören, was die leise Stimme machtvoll übermitteln könnte.

 

Wir hören so gerne, wenn ein Kind leise sagt: „Mama, Papa, ich habe euch lieb." Wie wirkungsvoll es ist, wenn jemand weiß, wie und wann er leise „Danke" sagen kann.

 

Denken Sie an die Stimme vom Himmel, die gesagt hat: Joseph, dies ist mein geliebter Sohn. Ihn höre! (Siehe Joseph Smith - Lebensgeschichte 1:17.) Uns wird warm ums Herz und wir werden ganz ruhig, wenn wir die leise Stimme sagen hören: „Seid ruhig und wißt." (LuB 101:16.)

 

Denken Sie daran: zu den größten Gaben gehört die leise Stimme des Heiligen Geistes, der uns durch seine Einflüsterungen führt und uns ein machtvolles Zeugnis ermöglicht.

 

4. Die Gabe zu beruhigen

 

Was für eine erhabene Gabe ist es doch, andere beruhigen zu können! Wir danken Gott für diejenigen, die ruhig sind und nicht streitsüchtig.

 

„Denn wahrlich, wahrlich, ich sage euch, wer den Geist des Streites hat, ist nicht von mir, sondern vom Teufel, der der Vater des Streites ist, und er stachelt den Menschen das Herz auf, im Zorn miteinander zu streiten." (3 Nephi 11:29.)

 

Streit ist ein Werkzeug des Widersachers. Friede ist ein Werkzeug des Erretters. Was für ein großes Lob zollen wir jemandem, wenn wir ihn als einen sanften, beständigen und ruhigen Menschen beschreiben!

 

Streit behindert den Fortschritt. Liebe führt zu ewigem Fortschritt.

 

Wo Streit herrscht, kann es kein vereintes Bemühen in irgendeiner sinnvollen Richtung geben.

 

„Hört auf, miteinander zu streiten; hört auf, voneinander Böses zu reden." (LuB 136:23.)

 

Streitgespräche müssen dadurch ersetzt werden, daß man ruhig miteinander spricht, sich mit etwas auseinandersetzt, zuhört und verhandelt.

 

Das Evangelium ist voll Harmonie und Einigkeit. Es muß voll Liebe als frohe Nachricht verkündigt werden, und zwar von ruhigen Menschen.

 

Wir müssen lernen, miteinander zu reden, einander zuzuhören, miteinander zu beten, miteinander Entscheidungen zu treffen, und jede Form von Streit zu vermeiden. Wir müssen lernen, unseren Ärger zu zügeln. Der Satan weiß: Sobald wir uns streiten, können wir keinen Fortschritt machen.

 

Es hat niemals eine Zeit gegeben, in der es für uns als Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage wichtiger war, für unseren Glauben einzutreten, in unseren Überzeugungen standhaft und unter allen Umständen ruhig zu bleiben. Wir dürfen uns von denen, die heimtückisch den Streit über aktuelle Fragen schüren, nicht beeinflussen oder aufregen lassen.

 

„Siehe, es ist nicht meine Lehre, daß den Menschen das Herz zum Zorn gegeneinander aufgestachelt werde; sondern es ist meine Lehre, daß es Derartiges nicht mehr geben soll." (3 Nephi 11:30.)

 

„Der euch gewährt hat, daß ihr miteinander in Frieden lebt." (Mosia 2:20.) Wer die Gabe besitzt, ruhig zu sein, macht dauerhaften Frieden möglich.

 

5. Die Gabe, sich um andere zu kümmern

 

Wie dankbar sollten wir sein, daß es Familien, Freunde und Organisationen gibt, die sich um andere kümmern! Durch sie wird das Leben leichter und gewinnt an Bedeutung. Auch sie ernten ihren Lohn, wenn sie sich wie Christus um andere kümmern, sofern sie aus den richtigen Beweggründen heraus handeln. Allen Führern, auf welcher Ebene sie auch dienen mögen, soll es in erster Linie darum gehen, sich in liebevoller Weise um andere zu kümmern.

 

„Und siehe, ich sage euch dies, damit ihr Weisheit lernt, damit ihr dies lernt: Wenn ihr euren Mitmenschen dient, allein dann dient ihr eurem Gott." (Mosia 2:17.)

 

Der Erretter kümmert sich um alle seine Schafe. Was für ein Lob ist es doch, als jemand angesehen zu werden, der sich um andere kümmert. Ich möchte Ihnen gern von einem ungewöhnlichen Menschen erzählen, der sich in aller Stille um andere gekümmert hat und auf den ich in den letzten Wochen aufmerksam geworden bin.

 

Kürzlich vergab eine Gemeinde im Salzseetal während einer Veranstaltung anläßlich ihres fünfundzwanzigjährigen Bestehens die Auszeichnung „Der beste Scout, den es je gegeben hat. " Die Veranstaltung in der Mehrzweckhalle, die aus einem Essen und aus einem ausgezeichneten Programm bestand, zog viele Mitglieder der Gemeinde an, die in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren gute Gefühle füreinander entwickelt hatten.

 

Derjenige, der durch das Programm führte, stellte einen jungen Mann vor, der diese besondere Auszeichnung verleihen sollte. Er war beinahe zwei Meter groß und gut über zweihundert Pfund schwer. Er ging ans Mikrophon und sagte: „Wir möchten nun den besten Scout auszeichnen, den unsere Gemeinde je gehabt hat."

 

Sofort fielen den Anwesenden viele Namen und Gesichter von ehemaligen Scout-Führern ein. Wer würde es sein? Es hatte viele großartige Scout-Führer in der Gemeinde gegeben. Wie sollte man sich da für einen entscheiden?

 

Der große, gutaussehende junge Mann nannte viele ehemalige Scout-Führer und sagte dann: „Die Auszeichnung, der beste Scout, den es je gegeben hat" wird einer Person verliehen, die vierzig Jahre lang in der Primarvereinigung gearbeitet und als Scout-Führer viele Jungen belehrt hat. Sie hat eine der höchsten Auszeichnungen erhalten, die einem Scout verliehen werden kann, und auch die höchste Auszeichnung, die die Kirche einem Scout verleiht. Dann sagte er mit leicht zitternder Stimme: „Die Auszeichnung ,Der beste Scout' geht an Schwester Jennie Verl Keefer." Ein Raunen ging durch das Publikum, dann äußerte sich die Zustimmung in einem starken Applaus, der nicht enden wollte.

 

Schwester Keefer wurde gebeten, nach vorn zu kommen. Alle Anwesenden schauten ihr aufmerksam zu, als sie leise und zögernd von ganz hinten nach vorn kam. Dieses grauhaarige Energiebündel, eineinhalb Meter groß, überragte kaum diejenigen, die saßen. Am Mikrophon angekommen, brachte die überraschte Empfängerin ihren Dank ruhig und bewegt, doch bestimmt zum Ausdruck. Mit Tränen der Dankbarkeit in den Augen sagte sie, es seien noch nicht ganz vierzig Jahre. Es seien nur siebenunddreißig Jahre. Und dann fügte Schwester Keefer stolz hinzu, daß sie während der ganzen Zeit auch nicht einen schlechten Jungen gehabt habe.

 

Daraufhin bat der junge Mann, der ihr die Auszeichnung überreicht hatte, alle, die Schwester Keefer belehrt und um die sie sich gekümmert hatte, nach vorn zu kommen. Da geschah das Erstaunliche. Männer und Jungen standen auf und stellten sich hinter diese zierliche Frau. Stattliche Männer, Männer in Anzügen, Doktoren, Bischöfe, Geschäftsführer, Ehemänner, Väter mit Babys, ehemalige Missionare, Unternehmer, Computerfachleute, Zahnärzte, Zimmerleute und viele andere. Sie alle waren als Junge durch den Dienst dieser edlen und großartigen Frau beeinflußt worden - von dem besten Scout, den es in der ganzen Geschichte der Gemeinde je gegeben hatte. Sie hatte die Gabe, sich um andere zu kümmern, und das waren einige der Früchte ihrer Arbeit. Kommende Generationen werden aufgrund dessen, was sie getan hat, ihren Namen preisen. Was für eine großartige Gabe besitzen diejenigen, die wissen, wie man sich um andere kümmert!

 

„Und jedem Menschen ist . . . eine Gabe gegeben." (LuB 46:11.) Das ist wahr. Möge Gott uns helfen, daß wir unsere Gabe erkennen, entwickeln und andere daran teilhaben lassen, damit allen dadurch genutzt sei. Das hoffe und erflehe ich von ganzem Herzen.

 

Gott lebt wirklich. Er segnet uns wirklich mit Gaben. Wenn wir die Gaben entwickeln, die Gott uns gegeben hat und andere daran teilhaben lassen, und wenn wir aus den Gaben anderer Nutzen ziehen, dann kann die Welt ein besserer Ort sein und Gottes Werk wird schneller vorange hen. Das bezeuge ich im Namen Jesu Christi. Amen.

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